Vor einigen Tagen las ich einen Onlineartikel im Tagesspiegel: Die Helmbewegung
Dieser Artikel befremdete mich etwas. Hier wurde ein “Problem” angesprochen dessen Existenz mir bislang völlig entgangen war. Obwohl ich das schon so ein bisschen gespürt hatte, als ich schon einmal hier von Fahrradhelmen gesprochen hatte.
Im Artikel wird Rudolf Scharping als den Vater der Helmträger dargestellt. Da ist was an mir vorbeigegangen. Wenn ich ganz tief in meinem Gedächtnis krame, fällt mir ein, ja auch Rudolf Scharping trug einen Helm. Aber ich assoziiere auch nicht “Loser” mit dem Namen Scharping. So ein bisschen klingt das im Artikel an. Wir reden hier von einem Mann, der es bis in die Spitzenpolitik geschafft hat. Was auch immer das heißen mag. Das ist ganz grundsätzlich für mich nicht das typische Looser-Bild. Wenn ich das will, gehe ich auf die Straße und ca. 100 Meter nach links. Zur richtigen Zeit treffe ich die Leute, zu denen diese Assoziation passt unter der S-Bahnbrücke. Aber Fahrradhelme mit Scharping zu verknüpfen, Scharping niederzumachen und damit Fahrradhelme zu diskreditieren, ist schon ein gewagtes Stilmittel.
Ich sag es frei heraus: Für mich ist mein Helm mein bester Freund, der mir mal das Leben gerettet hat. Die Statistik lässt Einzelfälle stets außer Acht. Und für mich ist ein Einzelfall ganz besonders wichtig. Nämlich mein Fall. Dabei rede ich nicht zu sehr über meinen Fall, der war, sonder über den der hoffentlich nie kommen wird.
Der Artikel spricht vom “unansehnlichsten aller Schutzbekleidungsstücke”. Da hätte ich gerne mal eine Aufstellung unter welchen Kleidungsstücken. Ich wüsste nämlich spontan nicht gegen welche andere Schutzbekleidungsstücke mein Fahrradhelm anstinken muss. Frage an die Leser: Welche Schutzkleidung tragt ihr sonst so im täglichen Leben? Und wie ist die so vom Design?
Vielleicht bin ich einfach nicht eitel genug. Die ganze Passage über modische Unmöglichkeiten und lächerliche Auffälligkeit geht mir gelinde gesagt am Arsch vorbei und das, obwohl es hier ja um Kopfschutz geht. Und das ist der Knackpunkt: Es geht um Schutz und nicht um Schmuck!
Die Analyse ist allerdings zutreffend: Ja, ich trinke Bionade. Ja, ich esse viel Obst aus der Region. Ich bestelle mir mein Birchermüsli aus dem Internet. Ich habe zwar keine Holzdielen in meiner Altbauwohnung, aber an meine Holzgartenmöbel aus gewaltfrei geschlachtetem Baum kommt auch nur Naturharz. Und nein, der Helm ist nicht die natürliche Folge, sondern ging dem allen voraus. Ich trage meinen Helm, etwa seit ich volljährig bin. Und hätte ich das nicht schon immer getan, würde ich das hier vermutlich nicht schreiben können. Denn bei einem schweren Verkehrsunfall viel die Tatsache positiv ins Gewicht, dass ich keine Kopfverletzungen davongetragen hatte. Der Helm hatte jedoch einige massive Kerben und Abschürfungen, die den Verdacht aufdrängen, dass schwerere Kopfverletzungen stattgefunden hätten, hätte ich nicht den Helm getragen. Zudem kamen noch Kleinigkeiten dazu, wie der Schutz des Gesichts vor Schürfwunden und die Tatsache, dass der Helm verhinderte, dass mich meine eigene Brille verletzt, wahrscheinlich im Bereich der Augen.
Helmpflicht verlange ich nicht! Da zieht schlicht das Argument, dass es hier keine Belege für den Erfolg gibt. Insofern bin ich da sehr kompromissfähig. Meine Kinder werden aber genauso zum Helm auf dem Rad verdonnert, wie meine Frau. Die macht das aber auch ganz freiwillig. Vielleicht geht es hier doch mehr darum, das zu schützen, in das man die meiste Zeit seines Lebens investiert hat. Und vielleicht geht es hier nicht darum, Statistiken zu verbessern, sondern um den einen entscheidenden Fall, wo der Helm einfach mal was gebracht hat. Und wenn nicht, kann man sich wenigstens keine Vorwürfe zu diesem Thema machen.
Der Artikel endet mit: “Wie demütigend, wenn alles umsonst gewesen wäre.” Welch minderes Selbstwertgefühl muss man besitzen, wenn man dem Irrsinn unterliegt, so eine olle Kunststoffschale auf dem Kopf könnte einem das letzte Bisschen Würde rauben? Damit ich das Teil absetze, muss mir schon jemand beweisen, dass es gefährlicher mit, als ohne ist. Solange es Fälle gibt, bei denen der Helm irgendwas gebracht hat – und einen davon habe ich ja selbst erlebt – werde ich ihn tragen. Für mich und meine Kinder. Für meine Freunde und Verwandte. Für meine Frau.
Aber… an dieser Stelle stimme ich dem Artikel wieder zu: Ein Helm erhöht die Risikobereitschaft beim Träger. Das stimmt für mich. Denn ohne fahre ich einfach gar nicht Rad.
Wir sehen uns vielleicht irgendwo in Berlin zwischen Reinickendorf und Charlottenburg. Ich bin der mit dem hässlichen roten Helm ;-)